Improvisierte Choreografie

mandarine grafi

Es bestehen Verbindungen und Beziehungen zwischen den ästhetischen Denk- und Handlungsformen. Dieses Vernetzen ist im Spiel und im Alltag von Kindern selbstverständlich. Die Schritte von einer ästhetischen Handlungsform zur nächsten sind oft spontan und eigendynamisch und lassen sich nicht eindimensional einengen. Das Zusammenspiel ästhetischer Denk- und Handlungsformen verschränkt sich zu komplexen ästhetischen Prozessen. Diese ästhetischen Prozesse verlaufen nicht linear Schritt für Schritt. Sie gleichen vielmehr einem „freien Tanz“, in dessen unmittelbarem Verlauf die nächsten Schritte der Handlungschoreografie entworfen werden. Statt geradliniger Denkoperationen in logischer Folge ist ästhetisches Denken vom Moment der Bewegung getragen, das sich in einem nicht linearen Prozess vollzieht.

Betrachtet man die Kunstgattung Tanz, wird deutlich, warum der Tanz diese komplexen ästhetischen Phänomene besonders gut beschreibt. Der Tanz hat das ästhetisch differenzierteste Körperwissen entwickelt. Der tanzende Körper ist Darsteller, Material, Fühler und Aufführender, Organ, Medium, Instrument, Transformator von Energien und skulpturales Gebilde und zwar simultan. Der Körper als Material ist damit Subjekt und Objekt zugleich, so dass sich hier Denk- und Handlungsformen besonders stark verschränken. Der Tanz ermöglicht daher ein Bewusstwerden des Zusammenwirkens von Körper und Bewegung, räumlicher Formung und zeitlicher Gliederung, Innen- und Außenraum, Gefühl und Fühlen, Aktivität und Passivität, Reagieren und Agieren.

Im oben beschriebenen Mandarinen-Beispiel zeigt sich „der Tanz“ in den unterschiedlichsten ästhetischen Denk- und Handlungsformen, z.B. im Fokussieren, Umkreisen, Wiederholen, Verwerfen, Zirkulieren, Ausweichen, Fortschreiten, Zusammenführe, Ablenken, Akzentuieren, Verdecken, Antippen, Belasten, Besetzen, Drücken usw. Dabei sind dies nicht nur Bewegungs- und Handlungsprozesse sondern auch Bewusstwerdungs- und Denkprozesse, die weitere „Tanzbewegungen“ im Rahmen bildnerisch-gestalterischer Prozesse herausfordern und ermöglichen Jedes Kind sucht seinen eigenen Weg und entwirft dabei seine eigene „Choreografie“ – wenn es die Möglichkeit dazu erhält und in diesem Versuch unterstützt wird. Es gibt Berührungsprunkte zu den ästhetischen Suchbewegungen anderer Kinder, aber die Verläufe sind nicht identisch. Daher entwickeln sich im Sinne der „improvisierten Choreografie“ auch spontane „Paar- und Gruppentänze“ – zu verstehen als Sinnbild für gemeinsames bildnerisch-ästhetisches Handeln.

Nehmen wir dieses Bild des Tanzes als Metapher für ästhetische Prozesse, wird deutlich, vor welchen Herausforderungen Pädagoginnen stehen. Ästhetische Bildung heißt dann – wiederum metaphorisch gesprochen – Kindern die Choreografie des Tanzes zwischen den Momenten ästhetischen Lernens zuzutrauen und zu ermöglichen. Die Pädagoginnen beobachten, beraten und unterstützen die Kinder innerhalb ihrer selbst gewollten und entwickelten ästhetischen Bildungsprozesse.

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