Strukturelle Dimensionen

 

Unterrichtliche Arrangements, die ästhetische Bildungsbewegungen begünstigen, müssen beide Dimensionen -Fachgegenstände und subjektbezogene Themen- berücksichtigen. Damit aus der Begegnung von Subjekt und Sache jedoch auch eine ästhetische Erfahrung wird, muss das Subjekt als Person beteiligt und in den Prozess der Auseinandersetzung involviert sein. Dafür bietet in aller Regel die Einbeziehung ästhetischer Praxis die günstigsten Voraussetzungen.

Subjektbezogene Themen:
Sich ein Bild machen durch ästhetische Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit
Ausgehend von den kindlichen Interessen und im Blick auf die jeweils spezifische Lebenswirklichekt der Schülerinnen und Schüler rücken subjektiv bedeutsame Themen in das Zentrum des Kunstunterrichts. Solche Themen lassen sich zwar nicht systematisieren, aber der eigene Körper und die Sinne, Selbstdarstellung, Rolle und Geschlecht, Identifikationsangeboten und -muster, Familie und Freunde, Schule oder Wohnen bieten Ansatzpunkte dafür.

Fachgegenstände:
Perspektiven der Auseinandersetzung mit künstlerischen und ästhetischen Phänomenen

Die durch den Bildungsbegriff bezeichneten Vermittlungsprozesse zwischen Subjekt und „objektiver Welt“, bzw. zwischen Innenwelt und Außenwelt lassen sich nicht „bewirken“ und nur sehr bedingt über operational definierte Lehr-Lernziele in Gang setzen. Gleichwohl können Bedingungen benannt werden, die ihr Zustandekommen eher behindern oder tendenziell begünstigen.

So ist es wenig wahrscheinlich, dass ein Unterricht, der die Fachgegenstände im Sinne von „Sachansprüchen“ verabsolutiert und dabei die Lerngeschichte und die individuellen Interessen der Schülerinnen und Schüler vernachlässigt, das Ausmaß von Anteilnahme der Lernenden erreichen kann, das für das Zustandekommen von Bildungsprozessen unabdingbar ist. Umgekehrt dürfte aber auch eine subjektzentrierte „Betroffenheitspädagogik“, die sich fachlichen Anforderungen gegenüber indifferent verhält, das Ziel verfehlen, ästhetische Bildungsbewegungen anzustoßen, weil eine Vermittlung zwischen personalen und Sachansprüchen ohne ein gegenständliches Gegenüber kaum vorstellbar ist. Unterrichtliche Arrangements, die ästhetische Bildungsbewegungen begünstigen, müssen also beide Dimensionen – Fachgegenstände und subjektbezogene Themen – berücksichtigen. Damit aus der Begegnung von Subjekt und Sache jedoch auch eine ästhetische Erfahrung wird, muss das Subjekt als Person wirklich in den Prozess der Auseinandersetzung involviert sein. Dafür bietet in aller Regel die Einbeziehung ästhetischer Praxis die günstigsten  Voraussetzungen.

Die Wahrscheinlichkeit ästhetischer Bildungsprozesse erscheint also dort am größten, wo fachliche Ansprüche und subjektive Möglichkeiten/ Erfahrungen/ Interessen (personale Ansprüche) in eine fruchtbare Balance gebracht werden können und wo die Vermittlungsprozesse zwischen diesen beiden Dimensionen durch ästhetische Praxis intensiviert werden.

Den so beschriebenen Zusammenhang veranschaulicht das nachfolgende Schema:

magisches dreieck

Nicht nur wegen der vielfältigen Formen notwendiger und sinnvoller Kooperation im Kunstunterricht muss das Lernen hier auch als ein sozialer Prozess verstanden werden. Gerade weil es in ästhetischen Lernprozessen keine eindeutigen Lösungen gibt, ist z.B. der Austausch unterschiedlicher individueller Sichtweisen und Bewertungen in der Lerngruppe ein unverzichtbarer Bestandteil des Kunstunterrichts.

Die Feststellung, dass die dem Kunstunterricht eigenen Chancen für die Entwicklung des Kindes besonders dann zum Tragen kommen, wenn sich die ästhetischen Erfahrungen und Lernprozesse auf die eigene Subjektivität und auf Problemfelder bzw. ästhetische/künstlerische Phänomene außerhalb des Subjekts beziehen, muss nicht unbedingt so verstanden werden, dass diese beiden Momente immer vollkommen gleichgewichtig berücksichtigt werden müssen. Eine „fruchtbare Balance“ kann auch aus wechselnden Akzentuierungen entstehen. So lassen sich die künstlerischen und ästhetischen Phänomene, um die es im Unterricht geht, u.U. durchaus in eine sehr enge Verbindung mit der Lebenswelt des Kindes bringen. Solche subjektbezogenen Themen werden im nächsten Kapitel noch weiter erläutert. Daneben sollten aber auch solche Inhalte im Unterricht zum Tragen kommen, die zunächst fremd und ungewohnt für die Kinder sind. Beispiele hierfür finden sich in dem Kapitel „Fachgegenstände: Perspektiven der Auseinandersetzung mit künstlerischen und ästhetischen Phänomenen“.

Auch wenn die Planungsüberlegungen für einen solchen Unterricht von unterschiedlichen Schwerpunkten ausgehen, sollte es immer sein Ziel sein, subjektbezogene und fachliche Perspektiven in ein produktives Spannungsverhältnis zueinander zu bringen.

Die Vielzahl der genannten Aspekte und die pragmatische Möglichkeit, bei der Planung von Kunstunterricht zunächst von bestimmten Schwerpunkten auszugehen, lässt es ratsam erscheinen, den Kunstunterricht – wenigstens in groben Umrissen – über einen längeren Zeitraum zu planen. In einer solchen „Perspektivplanung“ des Unterrichts[1] über ein Halbjahr, besser noch über ein oder mehrere Schuljahre, sollte besonders darauf geachtet werden, dass es im Gefüge von Sachansprüchen, subjektbezogenen Themen und primär material- oder prozessorientierten Arbeitsweisen auch mittel- und langfristig nicht zu deutlichen Übergewichten einzelner Bereiche kommt. Nur so ist die gebotene Vielfalt des Unterrichtsangebots sicherzustellen.

[1] Vgl. Wolfgang Schulz: Unterrichtsplanung. München 1980, S.28 ff.